Follow Me!

2022
Holz, Stahl, Beton
1600 x 1000 cm

Emanuel-Lasker-Oberschule, Berlin
„Follow Me!”
 
Meine Arbeit „Follow Me!” für die Kunst am Bau im Verbindungsbau der Emanuel-Lasker-Oberschule sieht einen Geländerhandlauf vor, der an der Wandscheibe im Atrium des Neubaus angebracht ist. Zu sehen ist ein uns allen bekannter Holzhandlauf; doch anstatt zweckdienlich an einer Treppe entlang zu führen, verläuft er gegen unsere Gewohnheit und ohne erkennbaren Sinn an der enormen Wandfläche entlang. Bei näherer Betrachtung erkennt man, daß der Handlauf des Geländers stellenweise die Wand durchstößt, dahinter verschwindet und nach einigen Metern wieder auftaucht. Folgt man der plastischen Linie hinter die Wandscheibe, so sieht man, daß das Geländer auch im Treppenhaus seinen unsinnigen Lauf fortsetzt.
 
Die Wandfläche selbst wird gegliedert durch die plastisch sichtbar gemachten Treppenstufen des dahinter befindlichen Treppenhauses. Reliefartig schieben sich die Betonstufen nach vorne. Der Handlauf kreuzt ihre Diagonalen, folgt ihnen stellenweise, löst sich wieder, entfernt sich von der Wand, durchstößt diese, markiert Höhen und Tiefen. Er führt nicht zielgerichtet von einem Ort zum anderen. Er ist losgelöst von seiner Funktionalität und setzt diese ad absurdum. Man kann dem Handlauf nicht vollständig physisch folgen. Vielmehr suggeriert der Titel „Follow Me!“ ein Verfolgen der Linie in Gedanken. Der Blick gleitet ins Ungewisse: Wo ist der Anfang, wo ist das Ende?
 
„Follow Me!“ gliedert die Wandfläche, gibt Bewegungsrichtungen vor und dynamisiert die starre Architektur. Der Entwurf setzt sich mit der Funktion des Gebäudes als Verbindungsstück auseinander. Er verbindet Atrium und Treppenhaus. Durch den Handlauf werden Verbindungen auch im übertragenen Sinne visualisiert. Der Oberlauf des Geländers besteht aus dunklem Naturholz und schafft visuell Bezüge zum Holzbelag der Balkonbrüstungen im Atrium und somit zur vorhandenen Architektur.
 
Das Kunstwerk ist mehrsinnig erfahrbar: visuell folgt das Auge den dynamischen Linien, und im Geiste werden die verborgenen Elemente miteinander verbunden. Auch haptisch ist es erfahrbar: sowohl an den für die Hand erreichbaren Stellen im dahinter liegenden Treppenhaus als auch an den Endstücken auf den Balkonen des Atriums kann der Handlauf berührt werden. Er führt den Betrachter quasi hinein in die Wandgestaltung und regt die Nutzer des Gebäudes (die Lehrer und insbesondere auch die Schüler) an darüber nachzudenken, was hinter der Wand passiert: dahinter zu schauen. Es werden Fragen aufgeworfen zum Thema Führung, Sicherheit, Halt und der Überwindung von Grenzen.
 
Nicht zuletzt ist „Follow Me!“ ein humorvoller und poetischer Beitrag zur Kunst am Bau: Ein zweckdienlicher Handlauf verselbstständigt sich, bekommt ein Eigenleben, wird zur Raumzeichnung, gerät zum Kunststück. Die absurde Führung wird zur Metapher des Denkens in phantastischen Räumen, und wir imaginieren eine überbordende Ornamentik aller Handläufe dieser Welt!


Vanessa Henn